Der Rhein

Die Landschaft Germaniens hatte zur Zeit der Burgunden ein völlig anderes Gesicht, als das heutige Mitteleuropa. Die Berge waren größtenteils noch mit undurchdringlichen Urwäldern überzogen, die Ebenen teilweise versumpft und mit Mooren bedeckt. Die Flüsse schlängelten sich ungebändigt durch die Landschaft und waren oft von dichtem Wald umgeben. Der Verkehr in dieser unübersichtlichen Landschaft war sehr erschwert. Abgesehen von einigen Römerstraßen, die sich an den Lauf der großen schiffbaren Flüsse anschlossen, gab es nur örtliche Verbindungswege zwischen den einzelnen Dörfern (Gaue). Die Dörfer lagen abgeschlossen voneinander. Der Rhein selbst war ein unberechenbares Fluss-System. Ungeheure Wassermassen wurden Jahr für Jahr während der Schneeschmelze transportiert, und dabei wälzte der Fluss Hunderttausende Tonnen Gestein und Geröll über den Grund. Dieses Geschiebe wurde immer wieder verlagert, sodass sich der Flussgrund ständig veränderte. Bei Hochwasser überflutete der Rhein oft weite Teile des angrenzenden Landes; große Uferbereiche waren Auwälder mit Dickicht und filzigem Bewuchs. Der Rhein änderte auch ständig seinen Lauf. Zahlreiche neue Arme entstanden und verschwanden wieder. Es existierten viele Kiesbänke und Inseln. Zur Zeit der Römer gab es praktisch keine Flurbereinigungen noch Befestigungsmaßnahmen, sodass ein Fluss immer den Weg des geringsten Widerstands wählte.


Wie eine historische Landkarte alter Flussläufe von Rhein und Neckar vom 6. Jahrhundert bis 1850 zeigt, spaltete sich der Rhein vor der Rheinbegradigung in viele flache, unregelmäßig gewundene Arme und mäandrierte in weit ausholenden Flussschlingen in der 10-12 km breiten Rheinniederung von einer Seite zur andern. Ein unübersichtliches Netz von Altwässern und Sümpfen inmitten einer breiten Aue mit dichtem urwaldähnlichem Bewuchs. Bei Hochwasser im Frühjahr war der Rhein ein tiefer Fluss mit starker Strömung. In Zeiten mit Niedrigwasser hingegen war der Rhein mehr ein flacher, meist nur wenige Meter tiefer, in vielen Schleifen träge dahinfließender Fluss. Bei Niedrigwasser war er daher ohne Gefahren befahrbar und wurde von den Römern oft als Transportweg benutzt. Die Römer kannten verschiedene Techniken, um die Flüsse zu befahren. Gebräuchlich war segeln, rudern, staken und treideln. Flussaufwärts mussten die Schiffe entweder getreidelt oder gestakt werden. Die Geschwindigkeit der Schiffe war gegen die Strömung dabei deutlich geringer als flussabwärts und damit war auch die Fahrtdauer erheblich länger. Die Entfernungen, die sich auf diese Weise am Tag bewältigen ließen, lagen bei etwa 20 Kilometern. Das Segel wurde, wenn überhaupt, von den Schiffern nur zur Fahrt auf Seen oder zur Beschleunigung der Talfahrt benutzt. Das Rudern wurde allem Anschein auch nach nur bei der Talfahrt eingesetzt, um entweder die Geschwindigkeit zu vergrößern oder das Schiff an schwierigen Flussstellen sicher führen zu können. Beim Staken, der anderen schon erwähnten Antriebsart, kam man noch langsamer voran, denn dabei musste das Schiff mittels einer langen Stange mit Muskelkraft vom Flussgrund abgestoßen werden. Die größeren Flüsse wie Rhein und Neckar ließen zwar aufgrund ihrer Wasserführung einen dauernden Verkehr mit relativ großen Schiffen zu. Bei zahlreichen kleineren Flüssen war der Verkehr vom Wasserstand abhängig. Bei Hochwasser waren auch viele kleinere Flüsse befahrbar. Für größere Transporte war eine Wassertiefe von ca. 0,90 m erforderlich. Verwendet wurden z.B. auch Lastflöße, die mit einem Tiefgang von 0,33 m auskamen. Diese konnten auch auf größeren Bächen eingesetzt werden. Die Flöße mussten allerdings gestakt werden und waren nur bei geringer Strömung einsetzbar. Zur Zeit der Römer gab es kaum Flussbegradigungen. Daher war der Wasserstand aufgrund der dadurch bedingten geringeren Fließgeschwindigkeit insgesamt höher als heute und auch kleinere Bäche waren teilweise schiffbar. Die Römer griffen nur selten direkt in die Flusslandschaften ein. Ein Beispiel dafür ist die Weschnitz, ein Nebenfluss des Rheins. In der Antike mündete die Weschnitz beim heutigen Trebur im hessischen Ried in den Rhein. In der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts veränderten die Römer mit dem Durchbruch der Dünen bei Lorsch den Flusslauf der Weschnitz, sodass der Fluss jetzt weiter südlich beim heutigen Biblis in den Rhein mündet. Dies war notwendig, damit die Römer Steinerzeugnisse aus den Steinbrüchen im Hinterland auf kürzestem Wasserweg an den Rhein transportieren konnten. Über die Weschnitz wurden zur Zeit Valentinians I nachweislich tonnenschwere Granitsäulen bis nach Trier transportiert.


Die einfachsten Schiffstypen, die am Rhein von Archäologen ausgegraben wurden, waren Einbäume, vermutlich Fischerboote. Diese wurden bereits in römischer Zeit ausgebaut, indem man entweder ein Plankenbord aufsetzte, oder den Einbaum der Länge nach aufschnitt und zwischen die so entstandenen Eckstücke einen Plankenboden einsetzte, wodurch ein Plattbodenschiff (Prahm) entstand. Dieser Schiffstyp gehörte im Römerreich zu den wichtigsten Transportmitteln und wurde überwiegend für die Versorgung der römischen Siedlungen, militärischen Lager und Stützpunkte in den rechtsrheinischen Gebieten mit allen lebensnotwendigen Gütern eingesetzt.  Die germanischen rechtsrheinischen Gebiete waren landwirtschaftlich sehr unterentwickelt und die dort ansässigen Gutshöfe waren nicht in der Lage die Versorgung der römischen Truppen zu gewährleisten.

Die Überreste eines gut erhaltenen römischen Prahms aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. wurden 1969 im Lac de Neuchâtel, bei Bevaix (Schweiz) ausgegraben. Mit einer Länge von 18 bis 20 Metern gehört er zu den kleineren Typen dieser Art. Weitere Funde z.B. aus Mainz, Xanten und Zwammerdam (siehe Bild links) belegen, dass aber auch die doppelte Länge, bis zu 40 Meter, nicht ungewöhnlich waren. Das Plattbodenschiff war für die Binnengewässer mit ihren sehr unterschiedlichen Wassertiefen aufgrund seines relativ geringen Tiefgangs wegen besonders praktisch. Durch den geringen Tiefgang von nicht einmal 50 cm war das Plattschiff in der Lage auf nahezu allen Gewässern zu fahren. Es konnte auch ohne Hafenanlagen überall an flachen Ufern durch Auflaufen anlegen und dort be- bzw. entladen werden. Diese Art der Anlege Technik führte sogar zur Ausbildung eines speziell dafür entwickelten Schiffstyps. Diese Schiffe hatten nicht nur einen flachen Bug, sondern darüber hinaus in diesem noch eine Öffnung, die als offene Bugpforte bezeichnet wurde. Durch diese Bugpforte war es möglich, Gegenstände mit großem Eigengewicht, wie z.B. Fässer oder Kisten, einfach an Bord des Schiffes zu rollen oder zu tragen, was dann dafür sonst nötige Hebevorrichtungen unnötig machten. Plattschiffe konnten talwärts gerudert werden. Rudern flussaufwärts war insbesondere bei größeren, meist langsamen Strömen in Ufernähe möglich, da hier die Gegenströmung am schwächsten war. Bergwärts kam manchmal auch treideln oder Staken hinzu. Bisher war man davon ausgegangen, dass dieser Schiffstyp nicht gesegelt wurde. Wissenschaftler der Universität Trier haben in Gemeinschaftsarbeit mit der Hochschule Trier ein römisches Plattschiff nachgebaut, um dessen Fahreigenschaften zu testen. Die Testergebnisse haben gezeigt, dass Plattschiffe bessere Segeleigenschaften besaßen, als bisher gedacht. Damit wurde eindeutig bewiesen, dass Plattschiffe segeltüchtig waren und nicht nur wie ursprünglich angenommen, von Treidlern an Land gezogen oder mit langen Bootsstangen angestoßen (gestakt) werden konnten. Diese Transportschiffe erreichten im Schnitt eine Geschwindigkeit von 5,7 Knoten bei halbem Wind, das entspricht über zehn Kilometern pro Stunde. In der Zeit nach 260 n. Chr., als sich die Römer auf das linksrheinische Gebiet zurückzogen, wurde der Rhein Reichsgrenze. Der römische Kaiser Valentinian I entwickelte in den Jahren 364 – 375 n. Chr., ein neues Verteidigungskonzept für die Rheingrenze , dass sich im Wesentlichen auf die römische Rheinflotte stützte, die in mehreren neu erbauten linksrheinischen und rechtsrheinischen Stützpunkten stationiert waren.

Linksrheinisch wurden in Speyer, Worms und Altrip Häfen und Kastelle gebaut und rechtsrheinisch bei Zullestein (Burg Stein) am Neckar Ländeburgi errichtet. Die römischen Ländeburgi waren befestigte Kastelle mit geschützten Anlegestellen für Schiffe oder Boote. Sie sollten kontrollieren, aufklären und melden, jedoch nicht unbedingt aktive Unternehmungen in größerem Umfang betreiben. Sie waren auch nicht zur Stationierung größerer Garnisonen angelegt, sondern als leicht zu verteidigende Stützpunkte an Wasserstraßen. Sie wurden daher stets an beschiffbaren Gewässern angelegt. Burgi wurden einerseits entlang von Flussgrenzen nachgewiesen, andererseits aber auch an wichtigen Straßen. Diese an strategisch wichtigen Punkten erbauten Straßenburgi dürften vor allem für Überwachungsaufgaben und als vorgeschobene Verteidigungsstellungen gedient haben und sollten auch den Schutz der Handels- und Verkehrswege gewährleisten.

In den 70er-Jahren des ersten Jahrhunderts n. Chr. errichteten die Römer auf dem vor Hochwasser geschützten Hochufer des Neckar bei Ladenburg (Lopodonum) zwei Kastelle, wobei Kastell II das ältere ist. Durch das Kastell I verlief die römische Fernstraße in Nord-Süd-Richtung. Direkt beim Kastell I am Neckarhochufer wurde 1979 ein 40 x 40 m großer Schiffsländeburgus aus der Zeit Valentinian I ausgegraben, der mit einer Besatzung von 30 bis 40 Mann den Rhein und die Neckarmündung kontrollieren sollte. Der Burgus wurde um 400 wieder aufgegeben.

Am Zusammenfluss von Rhein und Neckar bei Mannheim-Neckarau wurde von den Römern ein weiterer Schiffsländeburgus errichtet. Dieser Burgi war einer von zwei Burgi, die als Unterstützung für das Kastell bei Altrip Alta ripa (hohes Ufer) angelegt wurden. Das Kastell kontrollierte – gemeinsam mit den beiden Burgi – die dort verlaufende Reichsgrenze und wurde in der Neujahrsnacht 406/7 n. Chr. von den Wandalen und Sweben ohne Gegenwehr eingenommen und später zerstört. Der Ländeburgus bei Zullestein lag am Rhein an der von den Römern in der 2. Hälfte des 3. Jahrhunderts neu geschaffene Weschnitzmündung und hatte eine 42 Meter lange Schiffsanlegestelle. Die Verlegung der Weschnitzmündung wurde vorgenommen, um Granitsteinblöcke vom Felsberg im Odenwald oder Marmorsteinblöcke von Auerbach zu den römischen Kastellen bis nach Trier zu transportieren. Die Steinbruch- und Durchgangsrechte hatten sich die Römer durch einen Vertrag mit dem dort ansässigen Alemannenkönig Makrian gesichert. Wichtigstes Rückgrat der Rheinflotte ab dem 3. Jahrhundert waren die Navis lusoria. Diese wendigen Kiegschiffe der römischen Flotte operierten von den Uferkastellen und Wachtürmen (Ländeburgi) aus. Aufgrund ihrer Schnelligkeit wurden sie von den Römern vor allem für Patrouillenfahrten auf den Flüssen eingesetzt.

Die einzelnen Kastelle bzw. Ländeburgi an der Rheingrenze lagen im Schnitt zwischen 15 und 30 km voneinander entfernt. Flussabwärts fahrend konnte ein römisches Wachschiff den nächstgelegenen Stützpunkt in ca. 70 bis 150 Min. erreichen, flussaufwärts wurden ca. 2-4 Stunden gebraucht.  Ein älterer römischer Schiffstyp, die Navis actuaria war ein römisches Militärtransportschiff. Das Schiff hatte flache Kiele, um ohne Beschädigung aufgrund laufen zu können, und war mit Steuerrudern vorn und Achtern ausgerüstet, um mit dem Bug oder auch dem Heck landen zu können. Mit diesem Schiffstyp konnten auch seichte und unübersichtliche Flussbereiche befahren werden konnten. 1981/82 wurden in Mainz bei Bauarbeiten bei dem am Rheinufer gelegenen früheren römischen Kriegshafen Überreste von mehreren solchen Schiffen aus dem späten 4. Jahrhundert n. Chr. gefunden.


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